
Tyll ist mein perönliches Lieblingsbuch 2017! Berührende Figuren, eine Freude es zu lesen und eine wundervolle Erzählung über den Tanz auf dem Seil des Lebens und
die Kraft der Illusion. Daniel Kehlmann hat mich mit „Die Vermessung der Welt“ schon begeistert, aber mit Tyll ist ihm meiner Meinung nach ein brillantes Werk gelungen, das in Deutschland seines
gleichen sucht. Große Worte, aber so ist meine persönliche Empfindung.
Daniel Kehlmann versetzt Till Eulenspiegel, der hier Tyll Ulenspiegel heißt, aus dem 14. Jahrhundert, in die Zeit des 30jährigen Krieges. Warum tut er das? Weil aus
meiner Sicht Tyll der wahrhaft beste Erzähler dieser Episoden aus einer der dunkelsten Zeiten in Deutschland ist: der Narr, der die Geschichte der wahren Narren in den adeligen Häusern Europas,
der Kirchen und Klöster erzählt.
Das Buch beginnt mit einer allseits bekannten Tyll-Geschichte, in der er ein ganzes Dorf dazu anstiftet, die Schuhe auszuziehen, was zu einem heillosen
Durcheinander, Mord und Totschlag führt. Ganz so wie man Till Eulenspiegel kennt – nicht wirklich sympathisch, leicht unheimlich und teuflisch. Hier erfährt der Leser auch sofort, dass wir uns in
Kriegszeiten befinden „Der Krieg war bisher nicht zu uns gekommen.“ – beginnt der Roman.
Im zweiten Teil „Herr der Luft“ wird schnell klar, dass Daniel Kehlmann sich weder stringent an die zeitliche Abfolge der Handlung hält noch an Erzählperspektiven.
Während der erste Teil aus Sicht eines Erzählers in der Vergangenheit geschrieben ist, ist der zweite Teil in der Gegenwart formuliert mit einem allwissenden Erzähler. Wir lernen Tylls Kindheit
kennen, der als Sohn eines Müllers in einem kleinen Dorf aufwächst und stetig versucht, auf dem Seil zu tanzen oder zu jonglieren. Sein Vater ist ein wissbegieriger Mann, der sich mit
Heilkräutern auskennt und an die Kraft der Zaubersprüche aus alten Zeiten glaubt. Er stellt sich die Frage, ab wann eine Haufen Korn kein Haufen mehr ist und verzweifelt fast daran. Die Forschung
ist zu dieser Zeit allgegenwärtig noch durchdrungen von Aberglaube. Tylls Kindheit endet abrupt als die Jesuiten Dr. Tesimond und Athanasius Kircher auf seinen Vater stoßen und ihn als Hexer
„enttarnen“. Es kommt wie es kommen muss und Tyll flieht mit seiner Freundin Nele zusammen mit einem wenig begabten Bänkelsänger.
Wir folgen nun Tyll durch verschiedene Stationen seines Lebens als fahrender Gaukler, als Hofnarr beim Winterkönig oder im Kloster Andechs. In jedem der folgenden
Abschnitte ist es eine andere Person, die auf Tyll trifft oder mit Tyll zu tun hat. Oftmals findet sich erst zum Ende des Kapitels der Bezug zu Tyll, der als Bindeglied all der Ereignisse und
schillernder Persönlichkeiten wunderbar funktioniert.
Warum ist Tyll kein historischer Roman? Weil es Daniel Kehlmann nicht darum geht, die genauen Abläufe des Dreißigjährigen Krieges zu schildern, sondern es geht ihm
um das Erzählen einer guten Geschichte, die Tyll als Protagonisten und den Dreißigjährigen Krieg als Schauplatz hat.
Natürlich hat mich das Buch auch angeregt, mir noch einmal mehr über diese Zeit in Deutschland anzulesen. Vielleicht ist es eine gute Idee, den Simplicissimus von
Grimmelshausen in der Übertragung von Reinhard Kaiser zu lesen, um noch mehr über diese Zeit zu erfahren. Und natürlich habe ich auch einiges gelernt. Aber darum geht es nicht primär. Es geht um
einen Lesegenuss, wie man ihn selten findet. Die Liebesgeschichte zwischen Tyll und Nele, die nicht sein kann, weil Tyll Schreckliches im Wald widerfährt, ist anrührend und zart geschrieben. „Er
ist wohl mein Bruder, aber ich bin nicht seine Schwester.“, lässt Kehlmann Nele auf Seite 376 über ihre Beziehung zu Tyll sagen. Das Verweben von phantastischen Elementen, wie dem 17.000 Jahre
alten Drachen, mit zeitgenössischen Figuren ist gekonnt gemacht, denn wer würde nicht gerne glauben, dass es einmal Drachen in der holsteinischen Ebene gegeben hat. Und es ist gut zu wissen, dass
Tyll tatsächlich unsterblich wird durch seine Geschichten.
Eine unbedingte Geschenk- und Leseempfehlung für alle Menschen, die das Lesen lieben!
Danke an den Rowohlt-Verlag für das Leseexemplar!
Details zum Buch:
Gebunden, 480 Seiten
ISBN: 978-3-498-03567-9
22,95 €
Verlag: Rowohlt
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